19.7.2023

Von binären und nicht-binären Argumenten

Ich merke, wie mit jedem Wort von ihm meine Anspannung wächst und ich richte mich immer mehr und mehr im Stuhl auf, Sinne geschärft, Augen weit offen, Muskeln angespannt, bereit zum Angriff.

„...es kam also mehr von ihm aus, das immer wieder zu thematisieren, die anderen Kinder hat das gar nicht so interessiert, er hat es immer wieder angesprochen“, der Erzieher schaut mich an, betont gelassen, übermäßig ruhig, ich fühle mich bedroht. Er spricht ganz langsam. „Er konnte es auch nicht gut erklären, also ihm fehlten die Argumente.“

„Also mal ganz langsam“, platzte es da aus mir heraus. „Ich denke nicht, dass ein sechsjähriger seine Geschlechtsidentität erklären muss, genauso wenig muss er sie argumentieren.“ Er schaute mich etwas verdutzt an, fuhr dennoch weiterhin ganz ruhig fort: „ja also wissen Sie,
manchmal merkt man ja einfach, wie die Kinder so etwas versuchen zu erzählen, es aber selber nicht wirklich verstehen, wenn das dann eben so...so extrinsisches ist bei denen und nicht intrinsisch, also aus ihnen selbst kommt.“ Er lächelte mich an, scheinbar überlegen, ich konnte es nicht fassen. Intrinsisch, extrinsisch, was unterstellt er mir eigentlich gerade?

Sind Puppen und Autos extrinsisch?

„Nun mal ehrlich, wollen Sie mir wirklich gerade sagen, dass soziales Geschlecht total intrinsisch aus den Kindern gesprudelt kommt?“ Ich schaute ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an und setzte zur Erklärung an: „Binäre Rollenbilder – weiblich-männlich, werden Kindern doch von Anfang an vorgelebt, zuhause, in den Medien, im Spielzeugladen. Das ist sowas von extrinsisch, da bekommen sie schön vorgepredigt, wie wer zu sein hat. Kein Wunder, wenn ein nicht-binärer Mensch, da wenig bis keinen Rahmen hat, seine Identität anderen zu erklären, die nur mit diesem rosablau Kram konditioniert wurden. Ihnen wurde ja niemals eine Alternative gezeigt, wie sollen die das dann verstehen? Außerdem ist es ja nicht die Aufgabe des Kindes hier im Kindergarten über andere Geschlechtsidentitäten als die binären
aufzuklären. Das sollten ja wir Erwachsene machen, das ist unsere Verantwortung.“ Sprach ich und schob ihm zwei Bücher zu, die ich vorsorglich zu dem Gespräch mitgebracht hatte.

Der Erzieher schaute mich verdutzt an. Sein Aussagen ließen vermuten, dass er annahm, dass das Kind bei uns mit nicht-binären Gedankengut indoktriniert wurde. Dass kleine Menschen immer nur zunächst das leben können, was ihnen vorgelebt wird und dass das in Großteilen unserer Gesellschaft immer noch die Frau-Mann-Binarität ist - ich glaube, das hatte er so noch nie betrachtet. Zumindest vermittelte mir sein versöhnlicher Gesichtsausdruck das.

Prinzessinnen mit Vollbart sind so 2020

„Hmmm, das stimmt ja. Also, verstehen Sie mich nicht falsch, ich sage den Kindern ja auch immer, dass ich eine Prinzessin mit Vollbart bin“, er lachte unsicher. Ich lächelte etwas gequält zurück. Ja, dass Jungs lange Haare haben und Mädchen auch mal auf Bäume klettern dürfen, ist tatsächlich ein bisschen anerkannter als vor 10 Jahren, zumindest in bestimmten Kreisen. Aber dass Menschen ihre Identität außerhalb des binären Systems leben und in keine Kategorie (auch nicht „wildes Mädchen“ oder „Prinzessin-Junge“) passen bzw. die Attribute, die dem maskulinen und femininen Rollenbilder zugeschrieben werden, völlig losgelöst von diesen existieren – das findet zumeist wenig bis kein Verständnis.

Tu mir nicht weh, nur weil du mich nicht verstehst

Der Anlass zum Gespräch war, dass ein Kind dem großen Stern zurückgemeldet hat, dass es nur Mädchen und Junge gibt und es ihn daher überhaupt nicht geben kann.

Uns wird einfach die Existenz abgesprochen, die großen Menschen bringen das den kleinen Menschen so noch bei. Gewalterfahrungen wie diese sind der Grund dafür, warum ich nicht überall geoutet bin. Es ist mühselig und verletzend, um die eigene Identität kämpfen zu müssen.

Für mein Kind wünsche ich mir ein anderes Verständnis und einen anderen Umgang in der Gesellschaft. Deswegen sitze ich hier, bin laut. Erkläre mich und meine Identität. Er nimmt die Bücher und lächelt mich an: „Danke, ich werde sie im Team besprechen, wir lernen
immer gerne dazu.“

Ich lächle zurück und hoffe, dass er und sein Team in Zukunft die Argumentation übernehmen
können.

Ich merke, wie mit jedem Wort von ihm meine Anspannung wächst und ich richte mich immer mehr und mehr im Stuhl auf, Sinne geschärft, Augen weit offen, Muskeln angespannt, bereit zum Angriff.

„...es kam also mehr von ihm aus, das immer wieder zu thematisieren, die anderen Kinder hat das gar nicht so interessiert, er hat es immer wieder angesprochen“, der Erzieher schaut mich an, betont gelassen, übermäßig ruhig, ich fühle mich bedroht. Er spricht ganz langsam. „Er konnte es auch nicht gut erklären, also ihm fehlten die Argumente.“

„Also mal ganz langsam“, platzte es da aus mir heraus. „Ich denke nicht, dass ein sechsjähriger seine Geschlechtsidentität erklären muss, genauso wenig muss er sie argumentieren.“ Er schaute mich etwas verdutzt an, fuhr dennoch weiterhin ganz ruhig fort: „ja also wissen Sie,
manchmal merkt man ja einfach, wie die Kinder so etwas versuchen zu erzählen, es aber selber nicht wirklich verstehen, wenn das dann eben so...so extrinsisches ist bei denen und nicht intrinsisch, also aus ihnen selbst kommt.“ Er lächelte mich an, scheinbar überlegen, ich konnte es nicht fassen. Intrinsisch, extrinsisch, was unterstellt er mir eigentlich gerade?

Sind Puppen und Autos extrinsisch?

„Nun mal ehrlich, wollen Sie mir wirklich gerade sagen, dass soziales Geschlecht total intrinsisch aus den Kindern gesprudelt kommt?“ Ich schaute ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an und setzte zur Erklärung an: „Binäre Rollenbilder – weiblich-männlich, werden Kindern doch von Anfang an vorgelebt, zuhause, in den Medien, im Spielzeugladen. Das ist sowas von extrinsisch, da bekommen sie schön vorgepredigt, wie wer zu sein hat. Kein Wunder, wenn ein nicht-binärer Mensch, da wenig bis keinen Rahmen hat, seine Identität anderen zu erklären, die nur mit diesem rosablau Kram konditioniert wurden. Ihnen wurde ja niemals eine Alternative gezeigt, wie sollen die das dann verstehen? Außerdem ist es ja nicht die Aufgabe des Kindes hier im Kindergarten über andere Geschlechtsidentitäten als die binären
aufzuklären. Das sollten ja wir Erwachsene machen, das ist unsere Verantwortung.“ Sprach ich und schob ihm zwei Bücher zu, die ich vorsorglich zu dem Gespräch mitgebracht hatte.

Der Erzieher schaute mich verdutzt an. Sein Aussagen ließen vermuten, dass er annahm, dass das Kind bei uns mit nicht-binären Gedankengut indoktriniert wurde. Dass kleine Menschen immer nur zunächst das leben können, was ihnen vorgelebt wird und dass das in Großteilen unserer Gesellschaft immer noch die Frau-Mann-Binarität ist - ich glaube, das hatte er so noch nie betrachtet. Zumindest vermittelte mir sein versöhnlicher Gesichtsausdruck das.

Prinzessinnen mit Vollbart sind so 2020

„Hmmm, das stimmt ja. Also, verstehen Sie mich nicht falsch, ich sage den Kindern ja auch immer, dass ich eine Prinzessin mit Vollbart bin“, er lachte unsicher. Ich lächelte etwas gequält zurück. Ja, dass Jungs lange Haare haben und Mädchen auch mal auf Bäume klettern dürfen, ist tatsächlich ein bisschen anerkannter als vor 10 Jahren, zumindest in bestimmten Kreisen. Aber dass Menschen ihre Identität außerhalb des binären Systems leben und in keine Kategorie (auch nicht „wildes Mädchen“ oder „Prinzessin-Junge“) passen bzw. die Attribute, die dem maskulinen und femininen Rollenbilder zugeschrieben werden, völlig losgelöst von diesen existieren – das findet zumeist wenig bis kein Verständnis.

Tu mir nicht weh, nur weil du mich nicht verstehst

Der Anlass zum Gespräch war, dass ein Kind dem großen Stern zurückgemeldet hat, dass es nur Mädchen und Junge gibt und es ihn daher überhaupt nicht geben kann.

Uns wird einfach die Existenz abgesprochen, die großen Menschen bringen das den kleinen Menschen so noch bei. Gewalterfahrungen wie diese sind der Grund dafür, warum ich nicht überall geoutet bin. Es ist mühselig und verletzend, um die eigene Identität kämpfen zu müssen.

Für mein Kind wünsche ich mir ein anderes Verständnis und einen anderen Umgang in der Gesellschaft. Deswegen sitze ich hier, bin laut. Erkläre mich und meine Identität. Er nimmt die Bücher und lächelt mich an: „Danke, ich werde sie im Team besprechen, wir lernen
immer gerne dazu.“

Ich lächle zurück und hoffe, dass er und sein Team in Zukunft die Argumentation übernehmen
können.