19.7.2023

Von zu lauten Stimmen

Von zu lauten Stimmen, zerfressenen Nerven und einer zu vollen To-Do-Liste

Mein großer Stern schreit. Die Stimme, sie ist laut und durchdringend, hoch, schrill, frisst sich in meine Nerven. Ich verdrehe die Augen und seufze laut. Bemerkt der Stern denn nicht, wie angestrengt ich bin? Mir liegen fiese Worte auf der Zunge. Ich habe das starke Bedürfnis dem Stern mitzuteilen, wie genervt ich bin, welcher Leidensdruck sich hinter meiner Stirn aufbaut
und gleich zu Explodieren droht.

Es ist nachmittags, ich habe einen Tag Lohnarbeit hinter mir, die Sonne ist immer noch nicht da und auf meiner To-Do-List stapeln sich vorm inneren Auge Aufgabe um Aufgabe für diesen Nachmittag und Abend unter der Woche. Es ist verständlich, dass ich keine Kapazitäten für laute und drängende Kinderstimmen mehr habe, für Forderungen und Beschwerden.

Schleimige Monster in Tunnelsystemen

Der große Stern redet und redet, nun erzählt er von schleimigen Monstern, die im Kindergarten unter der Schaukel wohnen, er und Liam haben sie ausgegraben und dann ein Tunnelsystem gebaut, in denen sie eine Werkstatt einrichten konnten mit drei Ausgängen und verschiedenen Fahrzeugen, die zwischen den Ausgängen hin und herfahren, denn wenn die Schleimmonster zu lange in der Sonne sind schmelzen sie, aber manchmal müssen sie auch raus, weil die Wege innen drinne zu eng sind für alle und dann bleiben sie stecken und der Schleim vermischt sich, sodass sie für immer aneinander kleben... Ich schaue den Stern mit großen Augen an, er hat mein Augenverdrehen und meinen Seufzer gar nicht mitbekommen. Er bemerkt meine Not nicht. Das kann doch nicht sein, denke ich, wie unempathisch und laut und fies kann ein kleiner Mensch sein. Ich merke, wie meine Not immer größer wird und ich selber ins Verhalten eines
kleinen Menschen rutsche.

Sind so schöne Münder – darf man nie verbieten*

„Sag mal, merkst du denn nicht, wie gestresst ich bin? Kannst du nicht mal ruhig sein? Deine Stimme macht mich verrückt! Du schreist so rum, geht’s noch!“ möchte es aus mir heraus. Da sehe ich statt der ganzen Aufgaben auf der To-Do-Liste auf einmal ganz klar ein kleines Kind mit langen schwarzen Haaren vor meinem inneren Auge. Das Kind war gerade ganz aufgeregt, hat sich gefreut und erzählt und ist durch das Erzählen auf Reisen gegangen, durch die eigene Fantasie, durch schöne und immer schönere Gedanken und aufregende Abenteuer. Das Kind wollte dieses tolle Gefühl teilen, dem großen Menschen, den es so liebt, mit auf diese Reisen nehmen. Unerwartet wird es unsanft aus dem fantastischen Glückzustand gerissen. Der große Mensch entlädt Wut und Zorn, beschämt das Kind, führt es vor. Es nehmen Bestürzung, Angst und unerträgliche Scham den Platz der noch eben gefühlten Freude und Aufregung ein. Das Kind verliert den Boden unter den Füßen. Das bin ich, das ist mir passiert, denke ich und spüre Traurigkeit und Mitgefühl.

Ich möchte mit auf deine Reisen

Ich schaue den Stern mit großen Augen an und lächle. Es ist ganz und gar verständlich, dass ich keine Kapazitäten habe für die vielen Informationen, den Geräuschpegel und die Bedürfnisse eines kleinen Menschen. Mein tag war hart und lang. Aber das ist kein Grund, den
kleinen Menschen zu beschimpfen, ihn zu beschämen, meine Wut und meine Verzweiflung ob dem, was mir angetan wurde, an ihn weiterzugeben. Ich bin erwachsen und trage die Verantwortung für diese kleine Seele.

„Hohoho, mach mal langsam, großer Stern“, lache ich ihn an, „weißt du, ich habe einen vollen Tag hinter mir und noch einiges zu tun, mein Kopf läuft über.“ Der Stern lacht. „Ich möchte dir doch zuhören und von deinen Abenteuern erfahren aber das fällt mir gerade schwer, sei nicht böse, wenn ich ein bisschen Ruhe brauche. Wollen wir erstmal heim und uns dann ganz gemütlich beim Abendessen über alles unterhalten?“ Der Stern nimmt mich in den Arm.

Dann läuft er voraus und haut mit einem aufgesammelten Stock gegen alle Zäune und Mauern, an denen wir vorbeikommen.

Ich atme tief durch.

*Songtext Bettina Wegner „Kinder (Sind so kleine Hände)“ 1978

Von zu lauten Stimmen, zerfressenen Nerven und einer zu vollen To-Do-Liste

Mein großer Stern schreit. Die Stimme, sie ist laut und durchdringend, hoch, schrill, frisst sich in meine Nerven. Ich verdrehe die Augen und seufze laut. Bemerkt der Stern denn nicht, wie angestrengt ich bin? Mir liegen fiese Worte auf der Zunge. Ich habe das starke Bedürfnis dem Stern mitzuteilen, wie genervt ich bin, welcher Leidensdruck sich hinter meiner Stirn aufbaut
und gleich zu Explodieren droht.

Es ist nachmittags, ich habe einen Tag Lohnarbeit hinter mir, die Sonne ist immer noch nicht da und auf meiner To-Do-List stapeln sich vorm inneren Auge Aufgabe um Aufgabe für diesen Nachmittag und Abend unter der Woche. Es ist verständlich, dass ich keine Kapazitäten für laute und drängende Kinderstimmen mehr habe, für Forderungen und Beschwerden.

Schleimige Monster in Tunnelsystemen

Der große Stern redet und redet, nun erzählt er von schleimigen Monstern, die im Kindergarten unter der Schaukel wohnen, er und Liam haben sie ausgegraben und dann ein Tunnelsystem gebaut, in denen sie eine Werkstatt einrichten konnten mit drei Ausgängen und verschiedenen Fahrzeugen, die zwischen den Ausgängen hin und herfahren, denn wenn die Schleimmonster zu lange in der Sonne sind schmelzen sie, aber manchmal müssen sie auch raus, weil die Wege innen drinne zu eng sind für alle und dann bleiben sie stecken und der Schleim vermischt sich, sodass sie für immer aneinander kleben... Ich schaue den Stern mit großen Augen an, er hat mein Augenverdrehen und meinen Seufzer gar nicht mitbekommen. Er bemerkt meine Not nicht. Das kann doch nicht sein, denke ich, wie unempathisch und laut und fies kann ein kleiner Mensch sein. Ich merke, wie meine Not immer größer wird und ich selber ins Verhalten eines
kleinen Menschen rutsche.

Sind so schöne Münder – darf man nie verbieten*

„Sag mal, merkst du denn nicht, wie gestresst ich bin? Kannst du nicht mal ruhig sein? Deine Stimme macht mich verrückt! Du schreist so rum, geht’s noch!“ möchte es aus mir heraus. Da sehe ich statt der ganzen Aufgaben auf der To-Do-Liste auf einmal ganz klar ein kleines Kind mit langen schwarzen Haaren vor meinem inneren Auge. Das Kind war gerade ganz aufgeregt, hat sich gefreut und erzählt und ist durch das Erzählen auf Reisen gegangen, durch die eigene Fantasie, durch schöne und immer schönere Gedanken und aufregende Abenteuer. Das Kind wollte dieses tolle Gefühl teilen, dem großen Menschen, den es so liebt, mit auf diese Reisen nehmen. Unerwartet wird es unsanft aus dem fantastischen Glückzustand gerissen. Der große Mensch entlädt Wut und Zorn, beschämt das Kind, führt es vor. Es nehmen Bestürzung, Angst und unerträgliche Scham den Platz der noch eben gefühlten Freude und Aufregung ein. Das Kind verliert den Boden unter den Füßen. Das bin ich, das ist mir passiert, denke ich und spüre Traurigkeit und Mitgefühl.

Ich möchte mit auf deine Reisen

Ich schaue den Stern mit großen Augen an und lächle. Es ist ganz und gar verständlich, dass ich keine Kapazitäten habe für die vielen Informationen, den Geräuschpegel und die Bedürfnisse eines kleinen Menschen. Mein tag war hart und lang. Aber das ist kein Grund, den
kleinen Menschen zu beschimpfen, ihn zu beschämen, meine Wut und meine Verzweiflung ob dem, was mir angetan wurde, an ihn weiterzugeben. Ich bin erwachsen und trage die Verantwortung für diese kleine Seele.

„Hohoho, mach mal langsam, großer Stern“, lache ich ihn an, „weißt du, ich habe einen vollen Tag hinter mir und noch einiges zu tun, mein Kopf läuft über.“ Der Stern lacht. „Ich möchte dir doch zuhören und von deinen Abenteuern erfahren aber das fällt mir gerade schwer, sei nicht böse, wenn ich ein bisschen Ruhe brauche. Wollen wir erstmal heim und uns dann ganz gemütlich beim Abendessen über alles unterhalten?“ Der Stern nimmt mich in den Arm.

Dann läuft er voraus und haut mit einem aufgesammelten Stock gegen alle Zäune und Mauern, an denen wir vorbeikommen.

Ich atme tief durch.

*Songtext Bettina Wegner „Kinder (Sind so kleine Hände)“ 1978